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Moin, Hamburg! Mit „War goil, Leude!“, könnte dieser Konzertbericht bereits jetzt schon wieder enden und es wäre im Grunde auch schon alles gesagt. Denn wie ich bei euch gelernt habe, gilt das zweite „Moin“ in „Moin, Moin“ bereits als Gesabbel. Der Hanseate ist bekanntlich eher nüchtern und mag es daher auf den Punkt. Deshalb steige ich direkt und ohne Umschweife in diesen Bericht ein, der allerdings den Anfang heute vom Ende her denkt und erzählt.

22:57 Uhr. Glückliche Gesichter, soweit mein Auge reicht. Tausende, in Schweiß gebadete Fans drängen aus dem Innenraum ins Freie in den Umlauf der Halle. Auf den Tribünen findet man sich in Gruppen zusammen und versucht in Worte zu kleiden, was nicht in Worte zu kleiden ist. Soeben ist mit „Erinnerungen“ der letzte Ton der Setlist gespielt worden – getrunken von über 12.000 Kehlen, bis am Ende nur noch Stille blieb. Hamburg, Kevins Heimspiel, ist Geschichte. Eine Geschichte, die ihre dramaturgische Klimax spätestens mit Gonzos Erscheinen im Graben bei „Auf gute Freunde“ im Zugabenblock fand. Die Vorbereitungen dafür sind umfassend: Crew aufstellen, Laufweg checken, Kameras an den Start bringen, Weg umfangreich ausleuchten und auf Hindernisse überprüfen, den Vorhang zum Graben öffnen und ab geht die Post. Für viele von euch geht in diesem Moment ein Lebenstraum in Erfüllung, habe ich den Eindruck, wenn ich in eure Gesichter schaue. Dann sehe ich eine Mischung aus Ehrfurcht und Leuchten in euren Augen. Im Auge des Gonz – viele waren ihm noch nie so nahe. Das ganze Spektakel kulminiert, wenn Gonzo den Schritt auf die Barrikaden wagt und damit direkt vor euch spielt. Einige fummeln aufgeregt ihr Handy aus der Tasche, weil das einem im Nachgang ja sicher sowieso niemand glaubt. Andere versuchen die Erleuchtung durch Berühren zu erhalten und wieder andere stehen da und genießen wortlos. Das Gastspiel im Graben dauert nur wenige Minuten, aber die Erinnerung daran bleibt sprichwörtlich für die Ewigkeit.

Ewigkeit, das ist ein gutes Stichwort. Hamburg singt und tanzt bei „Nichts ist für die Ewigkeit“ so ausgelassen in der bis zum Dach gefüllten Halle, dass es bis weit ins Backstage hallt. Das Stück ist mittlerweile sagenhafte 35 Jahre! Ich habe oft das Gefühl, dass dieses Lied nicht nur am Treffendsten die Onkelz und ihre Bedeutung selbstreflektierend beleuchtet, sondern dass an dieser Stelle auch die Verbindung zwischen der Band und euch Fans am stärksten ist. Was sicher auch nicht unwesentlich am gesamten Aufbau des Songs liegt. Kevin, der an beiden Showtagen in Hamburg alles aus sich herausholt, tanzt ausgelassen und scheint jeden Moment ganz tief in sich zu vergraben. So auch bei „Nur die besten sterben jung“, der einfach Abend für Abend ein Garant für minutenlanger Gänsehaut ist. Spätestens, wenn ihr den Banner für Thomas Hess nach oben hebt, wird uns nicht nur die eigene Vergänglichkeit bewusst, sondern vielmehr, dass wir erst dann wirklich gestorben sind, wenn niemand mehr an uns denkt. Hinter vielen geschlossenen Augen findet auch in Hamburg nun die Trauer einen Rahmen. Und mit jeder Zeile, die Kevin so herzzerreißend und unnachahmlich singt, löst sich bei vielen von euch ein Stück der Fassung und zurück bleibt nicht selten eine warme Spur auf der Wange. Das ist neben „Nichts ist für die Ewigkeit“ auch so ein Song, der nicht altern kann und sehr wahrscheinlich viele Menschen noch in vielen Jahrzehnten durch ihre Trauerphasen begleiten wird.

Wenn wir schon mal über die emotionalen Momente in Hamburg sprechen, dann darf „H“ sicher nicht unerwähnt bleiben. Diese dreiminütige Substitutionstherapie in Liedform ist immer besonders, aber in Hamburg ist das Stück ganz besonders besonders. Als Gonzo, auf dem Barhocker sitzend, die ersten Noten spielt, scheint die ganze Halle Kevin in den Arm zu nehmen. Da steht er, in rotem Licht gehüllt und singt und mit ihm die ganze Halle. Ausnahmslos. In diesen Momenten spricht hinter der Bühne niemand. Einige stehen und genießen den Song allein, andere nehmen sich in den Arm und singen, genau wie ihr es tut. In diesen drei Minuten sind wir alle eins und lauschen nur Kevin. „Vom Heroin besessen, vom „H“ besessen“ – Stille.

Auf unserer gemeinsamen Reise durch alle emotionalen Aggregatzustände, darf abschließend Freude, Euphorie, Ekstase und damit „Terpentin“ nicht fehlen. Nachdem München, wie in anderen uns bekannten Wettbewerben, die Tabellenführung der Tour mit 109,4 dB übernommen hat, musste Hamburg die Ehrenrettung für Norddeutschland übernehmen. Von Beginn an war Hamburg wach und laut. Wer auf einen Sieg im Duell mit München wetten wollte, der hatte gute Chancen zu gewinnen. Am Ende standen 109,3 dB auf den LED-Wänden und damit hauchzart an Platz #1 des aktuellen Tour-Rankings vorbei. Immer wieder setzte die Halle an, angetrieben von den Onkelz, um München doch noch vom Thron zu stoßen, doch am Ende reichte es nicht ganz. Ach, was soll’s – Gewinnen kann jeder, kommt es mir in den Sinn. Der Stimmung an beiden Abenden in Hamburg tut dieser kleine, unbedeutende Makel keinen Abbruch. Erinnerungen. Die Halle tanzt, singt und erlebt bei „Ein langer Weg“ sogar noch die erste Song-Ansage von Kevin auf der diesjährigen Tour. Es musste einfach in Hamburg sein, weil an diesen beiden Abenden auch einfach alles passte.

20:42 Uhr. Das Licht der Halle erlischt. „Oh, wie ist das schön“, hallt es lautstark von den Rängen. Die Onkelz machen sich auf den Weg zur Bühne, alle sind hoch konzentriert, während das Intro auf den LED-Wänden beginnt. Dann öffnet sich visuelle Vorhang – es geht los.

Mit den beiden gespielten Shows, biegen wir nun endgültig in das letzte Drittel der „Hier sind die Onkelz“ – Tour 2025 ein. Zwei Abende voller Euphorie und singender Glückseligkeit – Hamburg, ihr wart wie immer großartig!

Man sieht sich!

📝 // Marco Matthes

📸 // Christian Thiele

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