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Konzertbericht // Jahrhunderthalle // 20.07.2022
Als vor fast drei Jahren der letzte Ton auf der Trabrennbahn in Wels verklungen war, ahnte noch niemand von uns, dass dies für eine sehr lange Zeit das letzte gemeinsame Konzert würde. Seitdem ist viel passiert, und noch mehr ist anders. Was geblieben ist, und das wissen wir spätestens seit heute, ist der Hunger. Hunger nach Konzerten, nach Energieaustausch. Kurz: nach Leben. Und so sitzen wir hier nun nach der ersten Onkelz-Show seit 2019 in unseren verschwitzten Shirts, mit 180er-Ruhepuls und um mindestens 3 Kilo leichter. Während sich die letzten Schweißperlen ihren Weg über unser Gesicht bahnen, und noch zwei gigantische Konzerte (und eine ganze Tour) dieses Jahr vor uns liegen, müssen wir dringend die Eindrücke des Tages rekapitulieren.
Bereits am frühen Vormittag zeigt das Thermometer unnachgiebige 40 Grad im Schatten, was allerdings die ersten Fans nicht davon abhält, sich ihre Plätze in der ersten Reihe des Einlasses zu sichern. Von oben brennt der helle Stern und im Herzen aller, denen wir begegnen, lodert die helle Vorfreude. In der Halle, die zu diesem Zeitpunkt noch eine angenehme Kühle hat, laufen die letzten Vorbereitungen und überall knistert es spürbar. Vierundzwanzig Stunden zuvor lief der Soundcheck und bereits da wird klar, dass die Akustik der Jahrhunderthalle sehr wahrscheinlich zum Besten gehören wird, das wir in den letzten Jahren gehört haben.
Direkt vor der Halle, auf dem Weg zum Einlass, trifft man Stefanie „Jackie“ Schu und Benjamin „Woody“ Lange – zwei Menschen, die bei der letzten Show in Wels noch viele Ideen und Träume auf der To-Do-Liste stehen hatten und in den hinter uns liegenden Corona-Jahren die Möglichkeit nutzten, all das (und noch viel mehr) mit Einsatz, Courage und jeder Menge Leidenschaft in die Tat umzusetzen. Jetzt sind die zwei Menschen – die – Gesichter des neuen BOSC., des BÖHSE ONKELZ SOCIAL CLUB, und sie erledigen diese Aufgabe mit Bravour. Stilles und beeindruckendes Zeugnis des Tatendrangs dieses Vereins steht seit gestern schweigend, aber nicht leise vor jedem Hallen- und Stadiontor: Der altehrwürdige, mächtige Dicke – der B.O.S.C. Bus. Was das für eine Mammutaufgabe war, dieses Ungetüm wieder straßentauglich zu bekommen, könnt ihr euch bei Gelegenheit von den engagierten B.O.S.C.-Menschen am Bus selbst erklären lassen und im besten Falle direkt eine Mitgliedschaft veranlassen.
Mit Beasto Blanco enterten dann die ersten Ehrengäste der Onkelz das Partyparkett und ließen von Beginn keinen Zweifel offen, dass dies heute hier ein rauschendes Fest werden sollte. Die Fünf sollten euch aus dem Vorprogramm der Tour 2016 ja bereits bestens bekannt sein und liefern auch diesmal ab. Als das Set endet, hat sich das Thermometer der Vorfreude verdoppelt und der Umbau der Bühne für die Geburtstagskinder kann beginnen.
Um exakt 20:28 Uhr starten sodann die ersten, lauten „Wir wollen die Onkelz“ sehen Sprechchöre. Wer in diesem Moment keine Gänsehaut am ganzen Körper verspürt hat, sollte dringend seine Vitalzeichen beim Hausarzt kontrollieren lassen. Hier hatten sich offensichtlich über drei Jahre eine explosive Mixtur aus Energie, Wut und unbändiger Lebenslust, die viel zu lange im Zaun gehalten wurden, aufgestaut, die um exakt 20:30 Uhr, mit den ersten Tönen von „10 Jahre“, ihre Katharsis finden. Es fliegen Bierbecher und Shirts in die Luft und plötzlich ist irgendwie wieder alles wie es mal war: Pure Ektase, viel Energie und noch mehr Schweiß. Ein Onkelz-Konzert, wie es im Buche steht.
An dieser Stelle wollen wir einmal kurz den Fokus von der Setlist auf einige Gewerke richten, die nicht auf der Bühne stehen und dennoch einen großen, wichtigen Anteil an diesem Spektakel haben. Das Lichtdesign, um die Crew von Jerry Appelt, das auch an diesem Abend wieder großartig in Szene gesetzt wurde. Die Security, die mit viel Geduld auch die Letzten davon überzeugten, dass das Rauchen von Zigaretten bei (gefühlten) 70 Grad Innentemperatur keine so gute Idee ist. Die Crew am FOH, auf der Bühne, die Produktionsleitung um Matthias Meyert, das Merchandise, das Catering, die ganzen unzähligen Helfer auf, neben und hinter der Bühne, ohne die es eine solche Show nicht gäbe: Euch gelten unser ungeteilter Dank und Respekt für euer Engagement und euren Einsatz!
Währenddessen spielte sich die Band in einen wahren Rausch, der sich mit jedem Song zu potenzieren schien. Nach „Finde die Wahrheit“ gibt’s dann erstmals wieder „Oh, wie ist das schön“-Gesänge und ja, es ist schön, dass sich einiges offenbar wirklich nie zu ändern scheint. Um die Vorfreude nicht all jenen zu nehmen, die morgen und übermorgen zu den Stadionshows kommen, wollen wir nur auf einige ganz besondere Highlights der Setliste eingehen, die, wie immer, natürlich unserem subjektiven Empfinden entsprungen sind. Da fällt uns „Schöne neue Welt“ ein. Der Song, der 1993 das Licht der Welt erblickte und gerade heute erschreckend und beängstigend aktuell wirkt. Stephan setzt den wichtigen und richtigen Punkt mit: „In diesen Zeiten müssen wir lernen, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist“. Deutlich weniger schwermütig kommen dann „Saufen ist wie weinen“ und „Hier sind die Onkelz“ daher. Die Spielfreude der Band steckt an, und obwohl einige in der ersten Reihe zu diesem Zeitpunkt bereits 13 (!) Stunden Stehen in den Knochen haben, tut dies der grandiosen Stimmung und den fortwährenden Gesängen vom besten Chor der Welt keinen Abbruch. Stephan nimmt den Faden nach „Keine Amnestie für MTV“ mit den passenden Worten: „Danke für eure Treue!“ auf. Mit „Ein Hoch auf die Toten“ findet sich ein weiterer Song vom letzten Album auf der Setlist, und dieser sorgt auch live für einen kurzzeitigen Kloß im Hals. Die Band nutzt den Moment und gedenkt allen viel zu früh Verstorbenen, ganz besonders Thomas Hess und Trimmi. In den Gesichtern sehen wir eine Mischung aus Tränen und Innehalten, ein kurzer Moment des Verschnaufens und Gedenkens, ehe mit „Wir ham´noch lange nicht genug“ das Konzert auf die Zielgerade einbiegt.
Den Schlussakkord bildet traditionell „Erinnerungen“ und am Ende bleibt das wohlige Gefühl, dass bei allen Krisen, bei aller Unsicherheit und Ängsten, bei all dem Leid in der Welt, ein Onkelz-Konzert auch nach 42 Jahren eine Konstante bilden kann. Eine Konstante, die die Welt nicht zu einer besseren macht, aber die Halt und Kraft gibt. Kraft, die wir alle jeden Tag gut gebrauchen können. Stephan stimmt zum Schluss noch ein „Happy Birthday“ an, und die Fans nehmen die Aufforderung zu einem kleinen Geburtstagsständchen auf. Verdient haben sich das die vier Onkelz, die an diesem Abend ein großartiges Konzert gespielt haben.
Um es mit Stephans Worten zu sagen: „Wir danken euch!“.
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Marco Matthes
Dennis Diel
Tobias Stark // Christian Thiele // Mike Hoehn