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Alles Geschichte, Berlin. Das Kapitel 14 & 15 unserer gemeinsamen Reise ist geschrieben und wird nun in diesem Bericht konserviert. In stiller Hoffnung, dass auch in 20 Jahren noch ein Mensch Texte lesen kann. Und weil die Aufmerksamkeitsspanne bekanntlich insbesondere beim Lesen von Texten, statistisch im Durchschnitt bei nur etwa 3-7 Minuten liegt, möchte ich in diesem Konzertbericht gleich zu Beginn zwei Seiten einer Medaille beleuchten, deren Schnittmenge sich mit den Worten „Hingabe“ und „Identität“ gut beschreiben lässt.

Beginnen möchte ich mit unserer ersten Reihe. Die ist selbstverständlich nicht erst seit Berlin da, sondern bereits seit unserem ersten Konzert in Leipzig. Höchste Zeit, sie einmal gebührend zu würdigen. Das sind Menschen, die ihren gesamten Jahresurlaub aufbrauchen, um jedes Konzert (!) dieser „Hier sind die Onkelz“- Tour 2025 in der ersten (!) Reihe zu begleiten. Menschen, die für fast vier Wochen ihr Zuhause und damit ihren Alltag aufgeben, um mit uns gemeinsam von Stadt zu Stadt zu reisen. Menschen, die teils fünfstellige Summen aufbringen, um die dafür nötige Anzahl an Karten, an Hotelzimmern, an Reisekosten, an Verpflegung und Ausrüstung zu beschaffen. Jeden Showtag kann man sie bereits ab dem frühen Morgen, wenn die Temperatur noch um den Gefrierpunkt liegt, am Einlass vor der Halle finden. Ausgestattet, wie auf einer Expedition zum Polarkreis, mit Hand- und Fußwärmern, Wärmedecken, Klappstühlen, Power-Stations zum Laden von elektrischen Geräten und Thermoskannen mit Tee und Kaffee. Bestens organisiert über WhatsApp-Gruppen verbringt diese ganz besondere Spezies von Onkelz-Fans den Großteil des Tages mit Warten vor der Halle, um sich einen der begehrten Plätze in der ersten Reihe zu sichern. Nicht, dass der reine Platz in Reihe eins bereits ausreichend wäre, nein, es muss selbstverständlich auch immer in etwa die selbe Stelle in der ersten Reihe sein. Toleranzen von plus/minus fünf Zentimetern sind erlaubt, alles darüber gilt als am Einlass versagt. Der Einlass ist, so habe ich gelernt, ein zentraler Schlüssel dabei. Die Position dort, die Dauer des körperlichen Abtastens nach gefährlichen Gegenständen sowie die baulichen Gegebenheiten der Halle, entscheiden maßgeblich über die Chance, seine Wunschplatzierung zu ergattern. Über die jeweilige Seite vor der Bühne entscheidet am Ende dann die persönliche Präferenz: Manche bevorzugen den ungetrübten Blick auf Stephan, andere den von Gonzo, wieder andere zentral vor Kevin. Hauptsache erste Reihe, Hauptsache der Band ganz nah.

Als Zweites möchte ich unseren B.O.S.C. und die PATENONKELZ einmal mehr würdigen. In Berlin besuchen Pe und Stephan am Nachmittag den B.O.S.C.-Bus, unter den staunenden Augen der ersten Fans, sammeln Spenden und machen sich ein Bild von der Arbeit der vielen Freiwilligen. Auch hier ein ganz ähnliches Bild: Menschen aus unterschiedlichsten Städten, mit ganz verschiedenen sozialen Hintergründen, stellen ihre eignen Bedürfnisse, ihren Alltag für fast vier Wochen hinten an und sammeln unter anderem in Eiseskälte vor der Halle Spenden für gemeinnützige Projekte und damit für die Schwächsten unserer Gesellschaft. Warum stellen sich eigentlich Menschen stundenlang bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, bei Regen und Wind vor dem B.O.S.C.-Bus und werben für ihre Mission, während nur wenige Meter entfernt wiederum Menschen seit Stunden am Einlass darauf warten, das dieser beginnt? Worin liegt eigentlich der Reiz, sich nunmehr 18 Mal hintereinander „Hier sind die Onkelz“, oder „Finde die Wahrheit“ an gleicher Stelle anzuhören? Ich habe mich gefragt, wo liegt die Kohärenz dieser Menschen, die äußerlich ganz unterschiedlich erscheinen, beim näheren Hinsehen aber ganz ähnlich agieren? Die ehrliche Antwort ist: Ich hab keine Ahnung. Aber ich glaube, dass Identität eine wichtige Rolle spielt. Sowohl bei denen, die sich im B.O.S.C. und bei den PATENONKELZ engagieren, als auch bei denen, die wir Abend für Abend in der ersten Reihe voller Pathos erleben, von dem ich weiß, dass es nicht unwesentlich die Band auf der Bühne zur Extrameile antreibt. Und am Ende ist bei gleicher Setlist, bei gleichem Intro, gleichen Visuals und gleicher Position, doch jedes Konzert in seinen Feinheiten einzigartig und nicht vergleichbar. So auch die beiden Abende in der Uber-Arena von Berlin. Wer bis hierhin gekommen ist, liegt übrigens bei ca. 3 Minuten Lesezeit – Hut ab!

Jetzt, nach fast 20 gespielten Shows, hat die Band endgültig ihren spielerischen Höhepunkt erreicht, habe ich den Eindruck. Die Tour könnte in diesem Zustand ohne Probleme nochmal so lang gehen und an der Spielfreude würde sich rein gar nichts ändern. Man könnte auch sagen, sie sind im „Flow“ angekommen. Alles sitzt, die Abläufe, die Dynamik, das Miteinander, das mir ganz besonders bei den beiden Shows in Berlin auffällt. Die Fünf wirken auf mich sehr gelöst und miteinander eingespielt. Allein zu sehen, wie sie sich immer wieder in den Arm nehmen, zusammen spielen und lachen, bereitet mir große Freude. Da war es nur logisch, dass auch Berlin keine Aufwärmphase hatte, sondern es sofort zur Sache ging. Die Setlist in diesem Jahr, unterstützt den anlauflosen Start in die Glückseligkeit und erinnert mich etwas an einen Teller aus Filet, Kartoffeln und Zugabe. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, aber für mich sind die diesjährigen Filetstücke, Songs wie „Exitus“, „Lüge“, „“Wenn du wirklich willst“ oder „Ein langer Weg“ und – na klar – „H“. Bei Letzterem geht Kevins Ansage zum Thema Mut, Wille und Überzeugung gegen Drogen, ganz besonders unter die Haut. Hier zitiert niemand Lebensweisheiten aus dem Abrisskalender. Hier spricht jemand, der das alles auch erlebt und schlussendlich überlebt hat. Die Fans, gestapelt bis unters Dach der Halle, honorieren jedes Wort, applaudieren und skandieren immer wieder „Kevin, Kevin“. Schön!

Die Kartoffeln der Setlist, nahhaft und nicht wegzudenken, sind auch in Berlin wieder, Stücke wie „Die Stunde des Siegers“, „So sind wir“ (ganz besonders fett), oder auch „Nichts ist für die Ewigkeit“. Mit diesen Nummer weckst du jeden Herztoten immer und überall auf. Ich könnte in meiner Aufzählung noch unendlich weitermachen, aber wem erzähle ich das? Ihr habt es doch selbst erlebt und diese Momente hoffentlich ganz tief in euch vergraben.

Die Zugaben auf dem Teller sind nicht zuletzt wichtig fürs Gemüt und sorgen dafür, dass die Sonne auch morgen wieder scheint. „Wir ham noch lange nicht genug“, oder „Auf gute Freunde“, sind solche Stücke, die aus keiner Setlist wegzudenken sind. Berlin singt jedes dieser Songs ausnahmslos mit und tanzt, soweit mein Auge reicht. Mit „Mexico“ brechen am Ende nochmal endgültig alle Dämme. Neben mir stehen mindestens drei Generationen einer Familie. Ich schätze die Mutter und den Vater auf Anfang 60, im echten Leben rein optisch irgendwas zwischen Bauamtsleiter und Datenschutzbeauftragte, singen sie gemeinsam im Mexico-Shirt, textsicher jedes Wort so voller Inbrunst und Hingabe, dass mir das Herz aufgeht. Ohnehin beobachten wir, auch in Berlin, wie auf der gesamten Tour schon, ein buntes Potpourri aus unterschiedlichsten Generationen, jeden Alters. Ganz offensichtlich gibt es auch unter den jüngeren Menschen noch Liebhaber der handgemachten Gitarrenmusik, die puren Rock´n´Roll mehr wertschätzen, als skatologische Retortensongs – ein schönes Gefühl.

Zu guter Letzt, schauen wir noch auf die Lautstärke in Berlin nach „Terpentin“. Ihr erinnert euch, Stuttgart hält aktuell noch den Tour-Rekord mit 110,4 dB. Als Hauptstädter war ich natürlich ganz besonders gespannt, ob Berlin die Stuttgarter vom Thron schubsen kann. Am Ende standen, trotz aller Bemühungen und Einsatz aller verfügbaren Stimmbänder, an beiden Tagen sehr solide 107,1 dB auf der LED-Leinwand. Zur Ehrenrettung der Hauptstadt muss man sagen, dass die Uber-Arena in ihrer Deckenhöhe und ihrem Raumvolumen deutlich größer ist, als die Halle in Stuttgart, was bei gleicher Publikumsenergie zu einem niedrigeren Schalldruck führt. Will sagen: Scheiß drauf.

Berlin, das waren zwei wirklich grandiose und intensive Tage bei euch. Wir sagen Danke für eure Unterstützung und eure Liebe an beiden Abenden und brechen auf – Vienna Calling!

📝 // Marco Matthes

📸 // Christian Thiele

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