Neues
Aus dem schönen Zürich geht es noch in der Nacht in das etwa 3,5 Stunden entfernte München und damit aus der Schweiz zurück nach Deutschland. Endlich kann wieder Geld gespart werden, fällt es mir unweigerlich in den Sinn. Mit München läuten wir so ziemlich das Halbfinale unserer gemeinsamen Reise aus Euphorie, Schweiß und Heiserkeit ein. Mittlerweile ist mein Biorhythmus zum Biomythos mutiert und das Gefühl für Raum und Zeit ist mir wahrscheinlich irgendwo zwischen Leipzig und Hannover abhanden gekommen. So lustig das klingt, so traurig ist es irgendwie auch: Schon wieder Halbzeit! Gefühlt lag nur ein Wimpernschlag zwischen der ersten Show in Leipzig und diesem Konzertbericht. Ja, der Moment ist scheu – kaum gedacht, ist er bereits schon wieder Erinnerung. Deshalb ist das Aufschreiben dieser Erinnerungen als Konzertbericht nicht das Aufhalten der Zeit, sondern vielmehr der Versuch, ihr ein Echo zu entlocken. Auch für München möchte ich das für euch versuchen.
Da es dieses Mal zwischen Zürich und München keinen Off-Day gibt, fahren unsere Nightliner direkt zur Olympiahalle. Als ich meinen müden Körper am Vormittag im Schlafgewand aus meiner Koje schäle, sind bereits etwa 120 Crew-Mitglieder seit Stunden damit beschäftigt, das über 60 Tonnen schwere Konstrukt aus Stahl, Boxen, LEDs und unzähligen Metern Kabel, in die Halle zu bugsieren. Das ist nichts für schwache Nerven – hier muss jeder Handgriff sitzen. Insgesamt dauert der Aufbau von der Ankunft bis zur fertigen Bühne übrigens etwa sechs Stunden. Wenn ihr die Halle um 18 Uhr betretet, sind all die Leute, die uns diese Konzerte mit ihrer Arbeit erst ermöglichen, längst wieder von der Bildfläche verschwunden. Deshalb ist mir an dieser Stelle ganz besonders wichtig, ihnen mit diesen Zeilen unseren Dank und unsere Wertschätzung für ihre Leistung zu verewigen.
Noch bevor das Licht der Olympiahalle, wie jeden Abend, gegen 20:42 Uhr erlischt, macht München im weiteren Rund unmissverständlich klar, dass der Lautstärkerekord aus Köln an den beiden Abenden in der bayerischen Landeshauptstadt wackeln könnte. Das dann folgende Intro, das mit unzähligen Reminiszenzen aus 45 Jahren Bandgeschichte gespickt ist, nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Vom Ben-Gurion-Ring, über die Puffkneipe „Puderdöschen“ im Westend, von der „Batschkapp“ bis zum JUZ Bockenheim, ist so ziemlich jede wichtige Etappe in der Onkelz-Werdung darin vertreten. Und während ihr den etwa anderthalb Minuten Zeitreise auf den LED-Wänden gespannt verfolgt, begeben sich die vier Onkelz dahinter auf ihre Positionen. Was dann passiert, zieht sich wie ein roter Faden durch die beiden Abende in der Münchener Olympiahalle: Die Band ist sofort da und mit schier unbegrenzter Spiellaune ausgestattet. Die Münchener sind laut, sind textsicher und gut gelaunt. Ich schaue mir die ersten drei Songs aus dem Graben heraus an und blicke dabei in die vielen glücklichen, euphorischen Gesichter. So viele von euch, haben diesen einen Moment herbeigesehnt, das kann ich euch ansehen. Wahrscheinlich habt ihr euch extra Urlaub genommen, für die Karte, für die Fahrt und für das Hotel gespart. Jetzt ist es soweit – Hier sind die Onkelz! Dieser Blick in eure strahlenden Gesichter, wenn es endlich losgeht, wird niemals selbstverständlich werden und erfüllt mich immer und immer wieder mit großer Demut und Dankbarkeit.
Die Band ist mittlerweile längst im Tour-Flow angekommen. Die Songs sitzen und sollte dennoch mal ein Ton verrutschen, lächelt der Rest der Vier das Ganze einfach weg. Das ist gelebter Rock´n´Roll und Authentizität. Kevin wird von Show zu Show besser, habe ich den Eindruck. In München ist er nochmal gelöster, scherzt und interagiert mit den ersten Reihen. Stimmlich ist er ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Und Vinny? Für Vinny gehen mir ehrlicherweise die Superlativen aus. Onklifiziert – voll und ganz, trifft es gut. Und während ich Vinny so beobachte, nehme ich parallel das weite Rund der Olympiahalle aus tausenden Händen wahr. Mir fällt eine Familie in der ersten Reihe auf, die aus mindestens drei Generationen besteht und wo das Onkelz-Virus ganz offensichtlich mit vererbt wurde. So viele unterschiedliche Gesichter, Lebensgeschichten und Schicksale, verbunden durch Musik. Ich sehe Menschen, die sich selig in den Armen liegen, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, die mitsingen und selbst die Zurückhaltendsten unter ihnen können sich spätestens bei „Auf gute Freunde“ das Fußwippen nicht mehr verkneifen. So soll es sein!
München singt bereits bei „So sind wir“ lauter als die Onkelz selbst. Dazwischen immer wieder „Oh, wie ist das schön“-Gesänge, die noch weit in die Katakomben der Halle zu hören sind. Mit jedem Song des ersten Drittels der Setlist, wurde es naheliegender, dass der Wanderpokal der Tour, heute wohl temporär von Köln nach München wandert. Und so kam es, wie es kommen musste: Sagenhafte 109,4 dB (!) nach „Terpentin“ am zweiten Konzertabend – Tour-Rekord! Das entspricht übrigens in etwa der Lautstärke einer afrikanischen Zikade beim Paarungsruf. Respekt!
Dass ich ein großer Fan von „Wenn du wirklich willst“ auf der Setlist bin, hatte ich bereits in meinem Konzertbericht aus Hannover geschrieben. Wenn Gonzo zum Solo ansetzt, träume ich mich jedesmal wieder zurück in meine Jugend. So auch an den beiden Abenden in München. Dann bin ich plötzlich wieder 15 Jahre, erinnere mich daran, wie ich mit meinem Freund, Hendrik, in der Gartenlaube lag und die „Viva los Tioz“ rauf und runter hörte. Eine gedankliche Zeitmaschine für die Dauer des Solos von etwas mehr als 30 Sekunden. Diese biografischen Erinnerungen, nennt man übrigens den Reminiszenzeffekt. Dabei eignet sich für unser Hirn ganz besonders Musik als Schlüsselreiz. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum wir uns beispielsweise nicht selten noch an die Musik bei unserem ersten Kuss erinnern können. Na, kurz zurück erinnert? Gern geschehen.
Ich fasse mich abschließend kurz – der Bus nach Hamburg fährt gleich ab und er wartet nicht auf mich: München, das waren zwei grandiose Tage bei euch in der Olympiahalle. Vielleicht die besten Konzerte in München aller Zeiten? Das entscheidet gern ihr. Auf jeden Fall die besten Shows, die ich hier bisher gesehen habe. Danke für eure Liebe und all das, was ihr uns an Leidenschaft und Energie gegeben habt.
📝 // Marco Matthes
📸 // Christian Thiele



























