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Es muss etwa Februar 1985 gewesen sein, als Egoldt bei den Onkelz anruft, um ein zweites Studioalbum auf den Weg zu bringen. Zwar war „Der Nette Mann“ erst neun Monate auf dem Markt und Geld hatten sie von Egoldt bislang auch keines gesehen, trotzdem ist die Band hellauf begeistert. Von diesen Aufnahmen existiert Filmmaterial auf Video. Zusätzlich werden die Stücke der zweiten LP in Playback und in Farbe für ein frühes Fanvideo in geringer Stückzahl aufgenommen. Auch dieses Material liegt uns vor.

Während das Cover zum „netten Mann“ noch auf dem Coverfoto (zerstörte, blutüberströmte Kinderpuppe in der Gosse, daneben ein paar Springerstiefel) einen klaren Bezug zur Skinheadszene aufweist, ist das Cover des neuen Albums mit einer Zeichnung aus einem Comic wesentlich neutraler.

Thematisch wollte man das Rad nicht neu erfinden, allerdings lässt man die Portion Patriotismus und Vaterlandsliebe dieses Mal raus. Während sich die Songtexte des ersten Albums noch mit dem Thema „Deutschland“ auseinandersetzen, sucht man auf der zweiten Scheibe solche Titel vergebens. Irgendwie kommt es der Band jetzt völlig idiotisch vor auf ein Land stolz zu sein, dass sich um ihre Generation einen Dreck kümmert. Sie sind nicht mehr gefangen in ihrem Skinhead-Mikro-Kosmos, der vorgibt, wie sie auszusehen haben und auf was sie stolz sein dürfen. Eine verschworene Gemeinschaft zu sein ist längst kein nationales Thema mehr, sondern kennt keine Grenzen, das wurde der Band nun klar. Auch den typischen Skinhead-Ska-Beat findet man nur noch beim Song „7 Tage ohne Sünde“.

Die weiteren Inhalte der Platte handeln fast ausschließlich von Alkohol und Straßenkampf, davon, dass die Gewalt nicht mehr als etwas Gutes und Wichtiges, sondern nun als etwas Erzwungenes, etwas zum Überleben auf der Straße Notwendiges angesehen wird. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass 1985 auch die Scheitelträger der Politik die Onkelz für sich entdecken und sie immer wieder für „ihre Sache“ zu gewinnen versuchen. Es gibt während dieser Zeit zahlreiche Angebote von rechten Parteien und Vereinigungen an die Böhsen Onkelz, auf einer ihrer Kundgebungen oder Grillfeste zu spielen. Alle Angebote werden abgelehnt. Einstimmig und oft unter großem Gelächter. Die Böhsen Onkelz haben bis heute keine Note für eine politische Partei angeschlagen. In diesem Zusammenhang sind auch die Texte der beiden Songs „Signum des Verrats“ (ein Song für Mitläufer und Skinheads, die ihre Ideale an die Politik verkauft haben) und „Hässlich, brutal und gewalttätig“ (ein Song über die plakative Darstellung der Skinheads in den Medien) zu verstehen. Auf gar keinen Fall wollen sich die Onkelz instrumentalisieren lassen. Immer wieder werden (unpolitische) Skinheads, die diese Szene jahrelang geprägt hatten, mit rechten Vollidioten in einem Topf zusammengerührt.

Nachdem sich „Der Nette Mann“ schon überraschend gut verkauft hatte, will die Band mit der zweite Platte „Böse Menschen – Böse Lieder“ mindestens daran anknüpfen. Äußerlich sind sie nicht mehr als Skinheads zu erkennen. Die Haare sind in der Zwischenzeit ein gutes Stück gewachsen. Auf Hosenträger und Fred Perry Hemden haben sie keinen Bock mehr und ihre Doc Martens tragen sie nur noch selten. Einzig Kevin kann diesen harten Schnitt von der Skinhead-Szene nicht so schnell vollziehen. Immerhin ist die so etwas wie seine Familie, sein Halt und irgendwie gibt sie seinem Leben einen Sinn. Wenn er mit Gleichgesinnten zusammen ist und seine Sinne mit allem betäubt was der Markt hergibt, dann vergisst er für ein paar Minuten den Hass auf sich selbst. Kevin hatte nie gelernt mit Gefühlen wie Wut, Trauer oder Einsamkeit umzugehen. Er konnte diese Gefühle nicht einschätzen und reagierte mit Aggression. Dabei treibt ihn seine Wut regelmäßig bis zum Exzess. Das bedeutet, wo andere bei Schlägereien aufhörten, fängt Kevin erst an. Wenn er trinkt oder Drogen nimmt, dann nie nur ein bisschen, sondern stets bis zum Anschlag und darüber hinaus. Wenn man ihm dabei zusieht, dann bekommt man den Eindruck, er wolle sich umbringen. Hierüber definiert er sich. Er hatte nie Wertschätzung erfahren, weshalb er glaubt, er bekäme diese Wertschätzung, wenn er der Krasseste von allen ist.

Beruflich sieht es 1985 einigermaßen ok aus. Stephan liefert mit einem alten VW-Transporter Bleistifte, Papier und Büromaterialien aus. Den Job hatte er von einem Freund seines Bruders Günther bekommen. Als dieser Freund ihm anbietet, den Betrieb als Subunternehmer zu übernehmen, sagt Stephan nicht nein. Weidner hatte immer schon eine naturgegebene Abneigung gegen Autoritäten und Leute, die ihm etwas vorschreiben wollten. Als Subunternehmer wäre er sein eigener Herr und könnte sich nebenbei ganz den Onkelz widmen. Gesagt, getan. Während er die Texte schreibt, dazwischen und wenn er fertig ist, trinkt er alles, was die Kneipen hergeben. Dabei ist er immer wieder in Schlägereien verwickelt. Wer denkt, dass Stephan sich zurücknehmen würde, der hatte die Rechnung ohne ihn gemacht. Wenn er sich prügelt, dann ebenfalls stets bis zum Äußersten. Man musste ihn nicht groß provozieren, um einen Beweis dafür zu erhalten, dass er zu dieser Zeit unberechenbar ist. In Gegenwart von Pia, die er 1983 heiratete, gibt er sich allerdings größte Mühe, seiner Aggressionen Herr zu werden.

Egoldt hatte weder für die erste LP etwas gezahlt, noch für die „Böse Menschen – Böse Lieder“. Hinzu kam, dass er keinen müden Handschlag für die Band machte. Die Onkelz intensivieren die Proben, schreiben an neuen Songs, geben Interviews und beantworten die Fanpost – kurzum, sie waren Band, Booking-Agentur und Management in einem. Bevor sie jetzt noch eine dritte Platte unter Egoldt aufnehmen würden, mussten sie dringend ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass der Band zu Ohren gekommen war, dass Egoldt seine Kontakte nach England, insbesondere zu „Screwdriver“ und ihrem „White-Noise Label“ vergrößert hatte. Umgekehrt begann er jetzt auch Fascho-Bands auf seinem RoR-Label zu vertreiben. Egoldts Scheck über 4.000 DM kann die Gemüter der Band zwar fürs erste beruhigen (was hieß, dass sie ihm nicht sofort die Zähne ausschlagen wollten), die darauffolgenden unbequemen Fragen kann Herbert allerdings nur lauwarm beantworten. Faschobands? Nee, nee, da haben sie was falsch verstanden. Sein Fokus sei doch Punk und New Wave. Der Anteil an Skinheadbands ist doch kaum eine Erwähnung (oder einen Zahn) wert. Und ein Management für die Onkelz? Naja, also, das ist so…das müsse die Band schon selber machen. Er habe das noch nie gemacht und auch keine Ahnung davon.

Egoldt war nicht Fisch und nicht Fleisch. Er war ein Fähnchen im Wind und alles war im scheißegal, wenn nur die Kohle stimmte. Das machte ihn höchst unsympathisch.

Tracklisting: Böse Menschen – Böse Lieder:

  • Heute trinken wir richtig
  • Das Signum des Verrats
  • Stunde des Siegers
  • Was kann ich denn dafür
  • Ein Mensch wie Du und ich
  • Keiner wusste wie`s geschah
  • Hässlich, brutal und gewalttätig
  • Nennt mich Gott
  • Sieben Tage ohne Sünde
  • Hass

Das Böse Menschen – Böse Lieder Kaufvideo:

 

Und ein seltener Studio-Clip während der Aufnahmen des Songs „Hass“

 

Böhse Onkelz - Böse Menschen - Böse Lieder - Back 1a9910-1222613486

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