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1985 ist das Jahr, indem die Onkelz erste Gehversuche vor laufender Kamera machen. Den Anfang macht eine kurze ARD Reportage über das damals noch sehr kontroverse Thema des Tätowierens. In Frankfurt interviewt man Alf Diamond, den damaligen Chef von Kevin, Stephan und ein paar Frauen zum Thema: Körperkult.

 

Es ist im August 1985 als Stephan vom Bayrischen Rundfunk angerufen wird. Kurz und knapp schildert man ihm, dass für den 9. September eine Ausstrahlung „Live aus Alabama“ geplant sei. „Ausländerfeindlichkeit“ ist das Thema und da dürfte natürlich Deutschlands bekannteste Skinhead-Band nicht fehlen. Die Band schreibt hierfür extra den Song „Stolz“ kurzerhand um und macht eine schnelle Pogonummer daraus. Endlich hatten sie die Möglichkeit im Fernsehen den Leuten ihre Assoziation von Stolz vorzutragen. Dementsprechend euphorisiert sehnen sie den Tag der Ausstrahlung herbei. Erst am Nachmittag vor der Sendung wird die Band von der Aufnahmeleitung informiert, dass sie auch Teil der Diskussionsrunde sind und somit als Studiogäste fest eingeplant wären. Pe und Gonzo sollen allerdings bitte nicht teilnehmen, um ihnen kein Übergewicht bei der Diskussion zu geben.

Die Alabama-Halle hatten sie mit drei Meter hohen Zeitungsausschnitten dekoriert, auf denen Schlagzeilen wie „Neonazis überfielen den Fraunhofer“ standen. Für die Zuschauer zu Hause bestand die Möglichkeit, sich per Telefon in die Sendung stellen zu lassen, und somit Teil der Diskussion zu werden. Die Band begreift nun, dass ihr Auftritt nur Mittel zum Zweck ist. Eine Zurschaustellung von vier Reinkarnationen des berüchtigten, rechtsradikalen Skinheads. Blöd ist nur, dass bis auf Kevin niemand mehr aussieht wie ein „typischer“ Skinhead. Als die Onkelz den Song „Stolz“ spielen, läuft am unteren Bildschirmrand der Text durch. Offenbar hatte die zuständige Aufnahmeleitung nicht richtig hingehört: so machen sie aus „Deutschlandfahne“ ein „Deutschland vorne“ und aus Shermans, Braces, Jeans und Boots“, wurde „(…) Jeans und Blut“. Konnte ja mal passieren. Etwa 250 Zuschauer sind an diesem Abend in der Alabama Halle anwesend und sehen von Beginn an, wie Kevin und Stephan schnell zur Blaupause für das deutsche Skinhead-Proletariat instrumentalisiert werden. Allerdings sind sie da nicht unschuldig dran. Es grenzt an Naivität seitens der Band zu glauben, dass sie dort eingeladen würden, um ausschließlich einen Skinhead-Kult-Song im Vollplayback zu performen. Alleine durch die peinlichen Einspieler zu Beginn, bei denen jeder der Gäste seinen Standpunkt deutlich machen sollte wird klar, dass sich Kevin und Stephan durch ausländerfeindliche Aussagen, von alleine und ohne Zutun der Moderatoren oder des Publikums, in eine rechte Ecke drücken.

Die Gesprächsrunde komplettiert neben dem Moderator, Giovanni di Lorenzo, der aus der Türkei stammende 22-jährige Türke Efkan, und die griechische Abiturientin Irini, ebenfalls 22 Jahre. Die beiden haben nichts mit dem zu tun, worüber Stephan in seinen Texten spricht. Beide sind fest integriert und weit weg von den Türkengangs, vor denen sie mehr als einmal geflüchtet waren. Kevin steht vor der Herausforderung, dass er seine diffuse Wut und seinen Hass artikulieren muss. Aber genau das hatte er nie gelernt. Er war es gewöhnt, seine Konflikte mit Fäusten zu regeln. Dementsprechend unbeholfen agiert er im Gespräch. Als wenn das nicht schon genug wäre, sitzen in der ersten Reihe zwei Jungnazis, die offenkundig extra dort platziert wurden und mit nagelneuen Onkelz-Shirts ausgestattet zusätzlich dafür sorgen, dass die Diskussion von Anfang an in eine gewollte Richtung steuert. Efkan kann Kevin nicht ab und Kevin kann Efkan nicht ab. Auch Stephan, der zwar während der Talkrunde mehrfach versucht klar zu stellen, dass die Onkelz niemals für eine rechte Partei auftreten würden, dass sie als Punkband angefangen haben und dass er „einige nette Ausländer kenne“, bekleckert sich nicht mit Ruhm. Hier sitzen vier Menschen an einem Tisch, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Sie sind wie Feuer und Wasser, weshalb ein Konsens von Anfang an nicht erreicht werden kann. Vielmehr führt das Einbeziehen von Meinungen aus dem Publikum nur noch mehr dazu, dass man sich voneinander entfernt und die Stimmung immer gereizter wird. Als die Sendung ausgeblendet wird und der Sender auf einen Kabelkanal wechselt, entern einige Autonome das Studio und zeigen ein Transparent, das harte Antifa-Sprüche zeigt, um die Onkelz noch mehr zu provozieren.

Die Sendung „Live aus Alabama“ hatte die Möglichkeit, sich dem Thema der Skinhead-Szene und der fortwährenden Politisierung auf einer objektiven Ebene zu nähern. Dazu hätte es gehört, dass man seitens der Sendeleitung einen Rahmen schafft, der einen konstruktiven Austausch überhaupt möglich macht. Daran hatte der Bayrische Rundfunk allerdings nie ein Interesse, was allein schon durch die beiden Jungfaschos mit Onkelz-Shirts in der ersten Reihe erkennbar war. Auf der anderen Seite hatten weder Stephan noch Kevin die Möglichkeit genutzt, das Bild, das von ihnen vorherrschte, zu korrigieren. Von Kevin konnte das auch nicht erwartet werden. Er war nicht der Rhetorikstern am deutschen Interviewhimmel. Stephan allerdings, der sonst seine Gedanken in verständliche Worte packen konnte, hatte an diesem Abend statt für Klarheit, nur für noch mehr Irritationen bezüglich der Onkelz und ihrer Einstellung gesorgt.

Im Nachfolgenden seht ihr das erste Mal die komplett ungekürzte Talkrunde – damit uns niemand mehr vorwerfen kann, Teile unserer Vergangenheit wären „schön geredet“ oder zensiert worden: