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Das Ablösen der Böhsen Onkelz von der Skinhead-Szene hatte bereits 1985 begonnen. Es war ein Prozess, der sich über mehrere Jahre zog. Etwas, was die Band so tief an sich herangelassen hatte, dass ihnen so viele schöne, unvergessene Momente bescherte, mit dem sie sich zutiefst identifizierten, konnte nicht über Nacht abgelegt werden. Anfangs hatten sie immer noch die Hoffnung, dass die Szene wieder aufwachen würde, dass sie sich auf ihre Wurzeln besinne. Doch das passiert nicht. Die Bewegung wurde immer mehr zum Auffangbecken brauner Vollidioten, die Spirit in der Schnapsabteilung im Supermarkt kaufen wollten. Stephan und Gonzo hatten die Schnauze gestrichen voll und ließen die Haare wieder wachsen. Für Pe hatte sich das Thema ohnehin erledigt. Kevin war schon klar, dass es ihre Möglichkeiten als Band extrem beschränkte, wenn sie jetzt nicht den Absprung schafften, seine Glatze wollte er anfangs allerdings nicht aufgeben. Stephan, Pe und Gonzo machten ihm keinen Druck – er sollte die Entscheidung selbst treffen und nicht aufgezwungen bekommen. Äußerlichkeiten waren ihnen ohnehin scheißegal.

Über das Festival aus dem letzten Jahr hatte die Band einen Kontakt zu Steve, Sänger bei „Indescent  Exposure“ nach England, geknüpft. Steve wollte sich um eine Auftrittsmöglichkeit in London kümmern. Als Stephan´s Telefon dann im November ´85 klingelte, war er zunächst mal positiv überrascht. Als Steve dann noch mit einem Gig am 17.12.1985 in einem Pub in Hample Hampsteed um die Ecke kam, waren alle euphorisiert. Die Onkelz spielen in London! London, wo alle Jugendkulte bis dato begannen! Alter, wie geil ist das denn?! Die Band war außer sich vor Freude. Ein Traum wurde wahr. Einen Tag vor dem Gig flogen Sie los. Der Flug war so spottbillig, dass noch ein paar befreundete Skinheads direkt mitkamen. Damit war die Reisegruppe aus Frankfurt zu siebt auf dem Weg nach London. Im Hotel angekommen, wurde auf die Einladung, den Flug, das Hotel, die Böhse Onkelz, das warme Wasser, das schlechte Wetter und einfach auf alles angestoßen oder besser: Es wurde gesoffen. Schließlich wolle man beweisen, dass die Frankfurter viel trinkfester waren als es die Engländer je sein konnten. In der Nacht wirft Kevin noch den Hotelfernseher aus dem Fenster, weil sich kein Sender finden wollte. Dass England zu diesem Zeitpunkt gar kein Nachtprogramm besaß, konnte Kevin ja nicht wissen.

Der Pub, in dem sie am nächsten Tag spielten, war so eingerichtet, wie man sich eben einen typischen Pub vorstellte: Dunkles Holz, langer Tresen, Dielenboden, der knarzte, wenn man drüber lief, aber alles aufgeräumt und sauber. Wenn man tief einatmete konnte man den Spirit der Working-Class riechen. Einige dieser Vertreter waren auch anwesend, als die Onkelz mit ihrem Set begannen. Dazu gesellten sich etwa 30-50 englische Skins. Während den Skins in Deutschland ihre Gewaltbereitschaft in jeder Kneipe vorauseilte, zählten Glatzen in London zur gesellschaftlichen Grundordnung, so wie Guinness zum Leben gehörte. Die Onkelz spielten u. a. „Das Tier in mir“, „Stöckel und Strapse“ und „Heute trinken wir richtig“ und die Anwesenden tanzten, brüllten und tranken. Es ist eine ausgelassene Stimmung bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Tür vom Pub öffnet und Ian Stuart Donaldson den Pub betritt. Stuart war sowas wie der leibhaftige Buddha für die englische Faschoszene. Komplett in schwarz mit frisch gebohnerter Glatze und fieser Miene standen er und seine Bodyguards im Raum. Gerne gesehen waren sie hier nicht, das merkte man sofort. Deutsch verstand er ebenfalls nicht, woraufhin er genauso schnell verschwand, wie er erschienen war. Im Anschluss an das Konzert wurde noch weiter gefeiert und getrunken. England war einer dieser Momente für die es sich lohnte, Musik zu machen. Sie hatten jede Minute genossen und das Erlebte tief in ihrem Herzen begraben. Von Steve hörten sie nie wieder etwas.

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Was man allerdings sehr häufig hörte (und was bei genauerer Betrachtung sogar verständlich war) war, dass es gute Kontakte zwischen den Onkelz und Screwdriver gäbe. Gab es aber nicht – das zum allerletzten Male. Stephan, Gonzo und Pe interessierten sich einen Scheiß für Stuart und seine revanchistischen, faschistischen und nationalistischen Phrasen. Kevin war noch immer irgendwo zwischen Skinhead und Rock`n`Roll gefangen und außerdem Engländer. Da sah die Sache zwar nicht völlig, aber etwas anders aus. Er war dennoch kein Fan der Briten. Obwohl es Egoldts feuchter Traum gewesen sein muss: Nach dem 1986er Aufeinandertreffen gibt es keine Berührungen mehr zwischen Screwdriver und den Onkelz.

Im Anschluss an London gibt es noch ein einziges Konzert in einer alten katholoischen Bastei in Rüsselsheim im Frühjahr. Dann verschwinden die Onkelz für eine lange Zeit von der Bildfläche. Sie sind nicht einzigen, die sich von der eigenen Szene verraten fühlen. Viele Skins, die von Anfang an dabei sind, wenden sich ebenfalls ab.

In der ersten Zeit hatte Kevin mit Nadeln und Farbe auf der Haut experimentierfreudiger Tattooliebhaber geübt. Schnell wurde offensichtlich, dass Kevin ein großes Tattoo-Talent war. Dies blieb auch Alf Diamond nicht verborgen. Alf war selbst Tätowierer und hatte sein Studio in Rödelheim. Bevor Kevin auf die Idee kam, ein eigenes Studio zu eröffnen, oder ein anderes Studio ihn entdeckte, machte Alf Diamond Nägel mit Köpfen und engagierte Kevin als neuen Tätowierer in seinem Studio. Zwischenzeitlich war Diamond von Rüsselsheim nach Sachsenhausen gezogen und schnell war Kevin Russell eine Größe im Frankfurter Tattoo-Business.

Moni und Kevin waren wieder zusammen. Kevin war nach seinem Rausschmiss in Antwerpen zurück zu seiner Mutter nach Hösbach gezogen. Moni begann damit, ihr Leben aufzuräumen. Sie meldet sich für die Abendschule, um ihren Schulabschluss nachzuholen und sie ist sich ihrer Gefühle zu Kevin bewusst geworden. Schnell verdient Kevin als Tätowierer gutes Geld, das beiden die Möglichkeit eröffnet, in ihre erste gemeinsame Wohnung zu ziehen. Auf 45qm im zweiten Stock der Weberstraße 28 im Frankfurter Nordend finden beide einen Basis, auf die sie ihre gemeinsame Zukunft aufbauen wollten. Welche abscheulichen Szenen sich auf diesen 45qm noch abspielen würden, kann zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen.

Pia hatte Stephan verziehen und war zu ihm in den Reuterweg gezogen. Stephan gibt sich größte Mühe, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Er arbeitet fast jeden Tag und tut alles dafür, um vieles besser zu machen und seine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Gonzo und Stephan prügeln sich auch nicht mehr bei jeder Gelegenheit. Von vielen bisherigen Wegbegleiterin hatten sie sich getrennt. In einer der Kneipen, die die „weiße Disco“ oder das „Exil“ als Treffpunkt abgelöst hatten, trifft Kevin auf Trimmi. Andreas „Trimmi“ Trimborn ist gerade 19 Jahre alt, als sich seine und die Wege der Onkelz kreuzen. Er hat lange Haare und mit Skinheads nichts am Hut. Trimmi, wie ihn seine unzähligen Freunde nennen, war der Typ Mensch, den man einfach gernhaben musste. Seine offene, witzige und liebenswürdige Art strahlte sofort auf jeden, der mit ihm ins Gespräch kam. Kevin hat ihn schnell ins Herz geschlossen, wohl auch deshalb, weil Trimmi so ganz anders ist, als Kevins bisherigen Freunde. Kevin hatte viele Male mit strahlenden Augen Stephan und Gonzo von Trimmi erzählt. Nach einem W.A.S.P. Konzert treffen sie sich im nahe gelegenen Park. Gonzo und Stephan hatten eine gute Menschenkenntnis und merkten sofort, dass Trimmi zu ihnen passte. Die ganze Nacht durch trinken und lachen sie gemeinsam. Trimmi hatte die Gabe, aus jeder Situation etwas Positives zu machen. Manchmal mit einem Witz, oder ein anderes Mal indem er einfach er selbst war. Seine positive Energie färbt sich auf die Band ab und er ist ab dieser Zeit ein ständiger Begleiter der Onkelz und der beste Freund von Kevin.

Die Onkelz schlossen mit Egoldt endgültig ab. Der Vertrag war erfüllt worden und Herbert saniert. Weil er die Rechte an allen Werke aus der RoR-Zeit inne hatte, veröffentlichte er auf der „No Surrender! Vol. 2, European Oi-Compilation“, die Songs „Ich mag“ und „Hässlich“, die beide den Onkelz keine B-Seite wert waren. Neben den Onkelz packte Egoldt einiges an Faschobands mit auf dem Sampler, inklusive Screwdriver. Auch diese Veröffentlichung geschieht selbstverständlich ohne Zustimmung und Absprache der Onkelz.

Zuletzt live spielten die Onkelz in Rüsselsheim. Für das S.O.S. Kinderdorf war Manfred Sexauer im Land unterwegs und engagiert für eine Veranstaltung in der Nähe von Frankfurt auch die Onkelz. Da sie an diesem Abend die Letzten waren, wollten sie sich auch so verhalten. Es wurde gesoffen, was die Leber hergab. Weil die Band keine Gage bekamen, hatten die Veranstalter Freibier klar gemacht. Ein fataler Fehler, wie sich schnell herausstelle. Als sie endlich dran sind, bekommt Kevin keinen geraden Satz mehr über die Rampe. Er stolpert über die Bühne und lallt unverständliches Zeug. Obwohl die Musik und der Text vom Band kommen, brüllt Kevin in das Mikro. Jeder der das sah, musste unweigerlich betreten nach unten sehen. Gerade als der Moderator dem Onkelz-Spuk ein Ende machen will, bricht Kevin vor lachen zusammen und fliegt ins Schlagzeug. Nur mit Hilfe kann er wieder aufgerichtet werden.

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Ausschnitte aus dem Konzert in Rüsselsheim: