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Die Presse ist auf Krawall gebürstet. Schon Ende des letzten Jahres geht in der Medienlandschaft ein großes Raunen bei der bloßen Erwähnung des Bandnamens durch. Nun beginnt auch die Tagespresse verschärft damit, die Böhsen Onkelz in ihren Artikeln über rechte Gewalt zu erwähnen. Die Berichterstattung über die Band ist defizitär, lückenhaft und ungenügend. Daten, Fakten, Namen, Zahlen, alles wird bunt durcheinander geworfen und schlecht bis gar nicht recherchiert an die Leser verfüttert. In Radio, Fernsehen und Tagespresse wird die Band als schlimme „Nazi-Skin-Kombo“ dargestellt und es wird in den Medien zu öffentlichen Boykotten aufgerufen. Kein Radioairplay, keine Videoclips, keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema „Böhse Onkelz“. Eine objektive Berichterstattung findet nur vereinzelt in wenigen Rock Zeitschriften statt. Hier einig Zitate aus dieser Zeit:

Stephan: „Wir haben uns letztendlich nie als rechte Band gesehen, oder uns als Angehörige der rechten Szene gefühlt.“ aus „Animalize“ Nr.10, Oktober 1991)

Frage: „Warum, glaubst du, fühlen sich so viele Rechtsradikale von euren Texten angesprochen?“

Stephan: „Es wird immer Leute geben, die zu primitiv sind, um das Ätzende, die Ironie in unseren Texten richtig zu verstehen.“ aus „Wild Axes“ Nr.4, Heavy-Metal-Magazin, Österreich, Oktober/November 1991)

Frage: „Kommt bei euch jetzt das schlechte Gewissen raus?“

Stephan: „Als es hier in Deutschland mit den Skinheads anfing, gab’s keine rechte Szene in der Bewegung; es war eine Skinbewegung, die sich mehr zur Arbeiterklasse hingezogen fühlte, also mehr zur Mittelschicht, „working-class-kids“ sozusagen. Wir haben größtenteils auch schwarze Musik gehört, Soul und Ska. Die Politik kam eigentlich viel später in die Bewegung, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo wir schon dabei waren – auch aus diesen Gründen – uns von dieser Bewegung zu distanzieren.“ aus „RockHard“ Nr.55, November 1991)

Dann das späte Jahr 1992. Deutschland zeigt sich von seiner hässlichsten Seite. Das, was später durch alle Gazetten und TV Sender geistern wird, sind die beschämenden Beispiele von Feigheit, Intoleranz und Wut, die an der völlig falschen Adresse abgeliefert werden. Es gibt grausame Übergriffe in Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Hünxe, Rostock und anderorts. Deutschland, so scheint es, schaut genüsslich zu, während in Asylbewerberheimen Menschen verbrennen. Vollprolls, die mit erhobenem rechten Arm und vollgepisster Jogginghose vor Flüchtlingsunterkünften stehen und „Sieg Heil“ brüllen. Anwohner, die applaudieren. Bullen, die viel zu spät eingreifen, um den Lynchmob auseinander zu treiben und Politiker, die hinterher ganz offen davon schwadronieren, dass es ein bisschen ja auch die Schuld der „Asylanten“ sei, wenn man wütend auf sie ist. Der sprachlose und angewiderte Teil der Medienlandschaft hatte sich seine Schuldigen inzwischen längst rausgesucht. Nicht die Politiker, die eilig und unsensibel nach den Anschlägen darüber nachdenken, das Asylgesetz zu verschärfen. Nicht die Täter, die anstelle eines Herzens und eines Hirns nur zwei leere Stellen im Kopf und in der Brust hatten. Auch nicht die Polizei oder die Bevölkerung, die zu- und wegschauten. Nein. Schuldig sind die Onkelz. Geistige Brandstifter, soso. Man bezeichnet sie als die Speerpitze der Neonaziszene, nennt sie mit rechtsradikalen Fascho-Bands in einem Atemzug, obwohl diese Bands nicht mehr als 500 Platten verkaufen, und manche Journalisten sind sich nicht zu schade, Onkelztexte rückwärts abzuspielen und Buchstaben zu verdrehen, um versteckte faschistische Botschaften nachzuweisen. So wurde aus „Noreia“ „Noreira“ und aus „Noreira“ -> Arier On. Die BILD titelt: „So sind die neuen Nazis: 18-25 Jahre, Oi-Musik, Baseball-Schläger“ und wusste, dass Nazis per se Onkelz hörten. Die POP ROCKY, das damalige Gegenstück und Konkurrent in direkter Zielgruppennachbarschaft zur BRAVO, veröffentlicht ein furchtbar falsches Foto, stellt die Onkelz als Looser und unglaubwürdige Verräter der Skinhead-Szene hin und bescheinigt „Störkraft“ und den ganzen anderen widerwärtigen Fascho-Kombos echte Street-Credibility. So werden Jugendliche sukzessive an den echten „Rechtsrock“ herangeführt, nicht durch die Onkelz. Der „Spiegel“ macht es der POP ROCKY auf hochintellektuellerem Niveau nach.  Auch hier weiß man erst über den Rechtsruck in der deutschen Politik zu berichten, um dann die Verschlagenheit der Onkelz zu erwähnen und ebenfalls ein falsches Bild (das der Bluesband „Formation SO 36“) zu veröffentlichen.

Bereits nach dem vorangegangenen Album 1991, hatte sich die Band dazu entschlossen, überhaupt keine Interviews mehr zu geben. Die Vorfälle in Deutschland allerdings zwingen die Böhsen Onkelz dazu, sich noch deutlicher zu erklären und so beginnt nun Stephan Weidner im Herbst des Jahres damit, im Wochentakt von einem Interviewtermin zum nächsten zu eilen. Gleichzeitig erlangt die leidige „Raider heißt jetzt Twix“- Diskussion einen neuen Höhepunkt. Man legt der Band von allen Seiten nahe, sie solle ihren Namen ändern. Unter einem neuen Namen, würde man ihnen alles verzeihen. Lukrative Angebote werden der Band unterbreitet, sie solle auf englisch singen, solle sich jetzt die „lieben Tanten“ o.ä. nennen und dann würde man wieder für Auftrittsmöglichkeiten sorgen und ihre Songs im Radio spielen. Die Band lehnt diese Angebote ab. Man ist sich einig, dass genau die Leute, die eine Namensänderung fordern, auch die Leute sind, die ihnen diese Namensänderung später vorwerfen würden. Stephan beteuert immer wieder, dass eine Änderung des Namens, nichts mit der Änderung einer Einstellung oder Geisteshaltung zu tun habe, dass er immer noch der gleiche Mensch sei und dass er lieber zu seinen begangenen Fehlern stehe und darüber spreche, als diesen einfachen Weg einzuschlagen. Die Reaktionen der Presse sind entsprechend. Die Schlagzeilen übertrumpfen sich fast täglich in immer absurderen Blutrünstigkeiten, wie z.B. „Tötet ihre Kinder, vergewaltigt ihre Frauen“ (Leipziger Volkszeitung), „Stoppt die rechten Rocker“ (Express), „Tarnung ist alles“ (Tempo), „Der Fascho-Sound ist in!„(Pop Rocky). Die Bildzeitung weigert sich eine Anzeige der Onkelz gegen Ausländerhass zu schalten und bundesweit sorgen die Medien dafür, dass der Name „Böhse Onkelz“ nun ein Synonym für rechtsradikale Musik zu sein scheint und übertrieben emotional behandelt wird. Kleine CD-Läden, die die Alben der Böhsen Onkelz vertreiben, werden Opfer von Anschlägen der Antifa, ebenso werden Stadtplakatierer und Ticketverkäufer von Autonomen bedroht.

Und dann gibt es da ja noch das große Rock gegen Rechts Konzert „Heute die – morgen Du“ vor der Frankfurter Festhalle. Veranstaltet vom Konzertgiganten Marek Lieberberg, versammeln sich 150.000 Menschen in Frankfurt, um gemeinsam ein gewaltiges Signal gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Lichterketten und Gulaschkanone. Alle sind da. Maffay, Lindenberg, die Prinzen, PUR, Die Toten Hosen, BAP, Grönemeyer. Lieberberg war so mutig und besonnen, die Onkelz ebenfalls einzuladen. Im Gegensatz zu seinem Bruder David und Ralf Scheffler, dem Chef der Batschkapp, hatte dieses Frankfurter Urgestein die Chance erkannt, die in den Böhsen Onkelz lag. Also lud er sie ein. Die Band sagte spontan zu. Maffay, Lindenberg und andere sagten daraufhin ab. Lieberberg lud die Onkelz wieder aus. Die wiederum sitzen zeitgleich zur Veranstaltung in einer Pressekonferenz, die der damalige Dezernent für Multikulturelle Angelegenheiten, Daniel Cohn-Bendit, zusammen mit Matthias Beltz und der Band abhält. Während Con-Bendit und Beltz (R.I.P.) schon lange erkennen, welch einmalige Chance in den Böhsen Onkelz liegt, vertreten Michel Friedmann, Fritz Rau (ehemaliger, inzwischen verstorbener, großer deutscher Konzertveranstalter), Ralf Scheffler (Batschkapp, FFM) und David Lieberberg die Anklage. Ebenfalls dabei und auf Seiten derer, die die Onkelz ganz genau unter die Lupe nehmen wollen: Ossy Hoppe. Stephan und Gonzo kauen immer wieder ihre Vergangenheit durch. Friedmann erweist sich als besonders hartnäckig. „Ich will die Onkelz sehen wie jeden, der Fehler und auch keine Fehler gemacht hat. Der geschwiegen, der zugeschaut hat…Hier fehlt mir die Glaubwürdigkeit…“ Und etwas war ihm ganz besonders wichtig zu erwähnen: „Ich sehe die Onkelz sich nur in Presseterminen distanzieren..“ Daraufhin Gonzo und Stephan gleichzeitig: „Dann kommen sie doch mal zu ein Konzert von uns.“ Friedmann wurde dann von Matthias Beltz schnell klar gemacht, dass er mit dieser Art und Weise keine fruchtbare und konstruktive Diskussion erwarten dürfe. Während draußen tausende Lichter brennen, die Menschen ein gut gemeintes und ohnmächtig wirkendes Signal setzen, übergibt das Heute Journal Gonzo das Schlusswort: „Für mich ist der Punkt an der ganzen Sache: Ist es heutzutage möglich, über seinen eigenen Schatten zu springen, oder nicht?…“

Wie bereits angeschnitten: Stephan sprintet von einer Talkshow zur nächsten. Er sitzt bei Biolek, er sitzt bei ARTE. Er nimmt neben Campino und Nina Hagen Platz bei MTVs „Free your Mind“ Sendung. Alice Schwarzer begrüßt Stephan auf der „Zeil um zehn“ Couch und erweist sich nicht nur als gute Moderatorin, sondern auch als objektive Gesprächspartnerin. Das Interview dort wird eines der wenigen guten aus dem Jahr 1992. Die komplette Band steht bei „Zuviel Hass im wilden Süden“ auf der Bühne, Stephan und Gonzo beteiligen sich noch an der Diskussion, doch es nutzt nichts. Die Böhsen Onkelz – sie hatten ihren Stempel weg. Rechtsrock steht da drauf, und Bewusstwerdung, das Eingestehen von begangenen Fehlern und das Aufleuchten als positives Beispiel in einer Zeit, in der tausende Jugendliche Gefahr laufen, nach rechtsaußen zu driften, davon wollen alle Journalisten nichts hören. Schublade auf, Band rein, Schublade zu. So lief der Hase.

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Stephan bei „Boulevard Bio“

 

Stephan und Gonzo bei „Zuviel Hass im wilden Süden“:

 

TV Berichte zu den Onkelz zusammengefasst: