Timeline

zurück

Am 23. Oktober 1996, kurz nach Beginn der Herbst-Tour, veröffentlichen die Böhsen Onkelz bei Virgin Records ihr mittlerweile zwölftes Studioalbum, unter dem Titel „E.I.N.S.“.

Das Album wird zum Kassenschlager, zum Mega-Seller, verkauft sich über 400.000 mal in kürzester Zeit und steigt auf Platz 4 in den Longplay Charts der Media Control. Es hätte durchaus Chancen auf den ersten Platz gehabt, wäre es früher veröffentlicht worden. Der Termin mit Virgin ließ sich nicht mehr ändern und der erste Platz sollte zwei Jahre später folgen.

E.I.N.S. ist bis heute das beliebteste Album unter den Onkelz-Fans. Es ist sicherlich auch für hunderte Fans der Einstieg in die Welt der „vier Frankfurter Jungs“ und deren erste Berührung mit B.O. überhaupt gewesen. Mitte der Neunziger ist guter, deutschsprachiger Rock rar gesät. Nein, eigentlich überhaupt nicht auffindbar. Punk ist out, liegt schon am Boden – niedergestreckt und winselnd. Green Day, The Offspring, alles MTV und VIVA Acts in Dauer-Rotation. „Basket Case“, „Self Esteem“ und Co. Aus Deutschland kommt „Fun-Punk“, ohne jegliche Aggressivität. Die Hosen, „10 Kleine Jägermeister“ lallend, auf dem Düsseldorfer Karnevalszug und die Ärzte, für die eh alles lustig und albern ist. Berlin und Düsseldorf versetzen dem hässlichen und unangepassten Punkrock den Todesstoß. Und dann kommt Frankfurt um die Ecke. „Danket dem Herrn“ wird für viele Fans das allererste Onkelz-Lied überhaupt. Für dich auch?

„Danket dem Herrn, euer Elend geht zu Ende. Das Warten ist vorbei – jetzt wackeln die Wände. Ja hier ist Kevin, eure Stimme aus der Gosse, der wandelnde Wahnsinn – mit Worten wie Geschosse…“

Schwindel, kurze Besinnungslosigkeit. Dann aber dieses Gefühl…

Alter, das ist jawohl das krasseste Stück Musik, das es gibt, oder?

Hast du die Stimme gehört?“

Ungläubigkeit in so vielen deutschen Haushalten und Kinderzimmern. In Frankfurt kann man spüren, Fanbriefe jener Zeit belegen, dass vieler Orts die Hosen, Wizo, Normahl und Ärzte Poster ab- und Onkelz Poster aufgehangen werden.

„E.I.N.S.“ ist eine knappe Stunde Heilkur von den Befindlichkeiten angepassten Mainstreams, der immer gleichen Leier, dass sich alle gefälligst „lieb haben und aufeinander zugehen müssen“ und den langweiligen Pop-Punk-Visagen. Die Stimme aus der Gosse, Russell, wird zur Stimme der Unterdrückten. Zur Stimme des „kleinen Mannes“, der „Ausgestoßenen“ und „zu kurz Gekommenen“. Was ist daran schlimm? Ist der „Bodensatz der Gesellschaft“, wie Onkelz Fans gerne von der debilen Journaille tituliert werden, etwa nicht vorhanden? Sind diese Menschen per se dümmer, hässlicher und/oder rechter/linker/gewalttätiger als der Rest? Gibt es keine Menschen in diesem Land, ganz gleich welcher Herkunft, denen übel mitgespielt wird? Warum sollte eine Band nicht für sie sprechen? Die Onkelz machen das nicht um der Fans willen, diese Sprache, die die Band benutzt – das Treffen auf einer Augenhöhe, es resultiert aus jahrzehntelangen gleichen Erfahrungen. Aus ähnlichen, frühkindlichen und jugendlichen Erlebnissen und Sorgen. Die Faszination der Fans, sie erreicht 1996 einen neuen Höhepunkt. „Zu nah an der Wahrheit“ trifft den Nagel auf den Kopf.

Aus dem Albumnamen zieht die Presse ihre ganz eigenen Schlüsse. Die Punkte zwischen den Buchstaben, so meinen manche Journalisten, zeige, dass es sich um eine Abkürzung handelt und schon findet jemand heraus, es hieße doch bestimmt: „Eigentlich immer noch Skins“. Die Band kann über solche Entgleisungen und Klimmzüge inzwischen nur noch lachen und konzentriert sich auf die Tour im Herbst.  E.I.N.S. steht natürlich nicht für einen geheimen Zusammenhalt zwischen den Onkelz und rechten Skins. Der Name steht für Zusammenhalt der Onkelz untereinander und mit ihren Fans. Ganz egal, ob diese sich dem Punk, Oi!, Fußball oder der Prostitution verschrieben haben. Rechte Spinner, ewig Gestrige, linke Krawallmacher und Gewalttäter so energisch ausgeklammert, wie man nur ausklammern kann.

E.I.N.S. ist nicht sonderlich schnell, aber hart. Das Album, aufgenommen in den frisch von den Onkelz eröffneten Drop Zone Studios im Frankfurter Nordend und erstmals unter Mitarbeit von Michael Mainx, muss sich für die tausenden Hater angefühlt haben, wie ein eitriger Pickel; wie eine offene Wunde. Für die Fans ist es eine Offenbarung. Nicht zuletzt aufgrund der Bissigkeit der Texte, ganz egal ob in „Kirche“, „Wie tief willst Du noch sinken“ oder „Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben“. Eine derartige schonungslose Ehrlichkeit, derart offene Worte und solch spitze Pfeile hatte es in der deutschen Musikindustrie bis dato nicht gegeben.

„Ihr sollt den Tag…“ ist eine Ansage, die gezielt Richtung Berlin und Düsseldorf schießt. Campino, stellvertretend für die Hosen jener Zeit, lässt keine Gelegenheit aus, um die Onkelz in den Dreck zu ziehen. Trotz gemeinsamer Bekannter und der Tatsache, dass es schon 1993 eine Anfrage der Onkelz an das Hosen-Management gab, ob es nicht mal an der Zeit sei, die Probleme „aus der Welt zu schaffen“, die damals mit netten Worten Campinos abgeschmettert worden war, will man nicht dazu lernen. Von den Ärzten ist man nichts anderes gewohnt und erwartete nichts. Noch 1994 schrieben die in ihrem Anti-Nazi-Hit „Schrei nach Liebe“: „Zwischen Störkraft und den Onkelz – steht ne Kuschelrock LP„. Das war damals schon billig, dumm und falsch, und man nahm mit dieser Textstelle alle Onkelz Fans in den Generalverdacht, latent ausländerfeindlich zu sein. Die Hosen aber, die wissen es besser. Da erwartet man mehr Feingefühl und Toleranz. Aber eben nicht, dass bis in die späten Neunziger jedwede Versuche der Onkelz, sich von Rechts zu distanzieren, als Marketing-Gag oder Lippenbekenntnisse abgetan werden.

Kurzum: Weidner ist der Ansicht, dass es Zeit für einen Denkzettel war. Nicht aber für einen Hosen-Onkelz-Krieg, der anschließend hysterisch und wenig sensibel von der Presse heraufbeschworen wird. Das ist nicht im Sinne beider Bands. Schon damals ist sich Stephan ganz sicher, und Campino höchst wahrscheinlich darüber bewusst, dass es zwischen den Fangruppen der Hosen und der Onkelz große Überschneidungen gibt. Ein „kalter Krieg“ nutzt keinem irgendwas  sondern spaltet, was eigentlich zusammen gehört.

Für Stephan ist das Thema nach „Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben“ gegessen. Für Campino und den Rest der Toten Hosen noch lange nicht.

E.I.N.S. ist voller Hits. „Regen“ wird zum Kultsong der „zweiten Reihe“, also der Onkelz-Lieder, denen erst lange nach Veröffentlichung die Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie verdient haben. „Koma – Eine Nacht, die niemals endet“, „Nichts ist so hart, wie das Leben“, „Zeit zu geh`n“ – alles bärenstarke Tracks. Doch neben all diesen Stücken, setzen sich zwei ganz besonders ab. Noch heute gehören sie auf vielen Partys zum „guten Ton“ und sind heimlich, aber nicht still und schon gar nicht leise, in das kulturelle Unterbewusstsein des Landes gesickert und zu echten Top-Hits mutiert: „Auf gute Freunde“ und „Kirche“. Glanzleistungen, in kompositorischer und textlicher Hinsicht.

Tracklisting E.I.N.S.

  • Danket dem Herrn
  • Nichts ist so hart, wie das Leben
  • Wie tief willst Du noch sinken
  • Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben
  • Zu nah an der Wahrheit
  • Meister der Lügen
  • Kirche
  • Flammen
  • Koma – Eine Nacht, die niemals endet
  • Auf gute Freunde
  • Regen
  • Zeit zu geh`n
  • Enie Tfahcstob rüf Ediona-Rap

Bohse_Onkelz_-_Eins_b