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Mit „Viva los Tioz“ toppen die Onkelz ihre Karriere und beziehen erneut musikalisch Stellung.

Als die Böhsen Onkelz am 04. September 1998 ihr dreizehntes Studioalbum „Viva los Tioz“ veröffentlichen, platzt der Knoten. Die Scheibe verkauft über 300.000 Einheiten in den ersten 48 Stunden nach der Veröffentlichung und steigt von null auf Platz 1 in den Media Control Top 100 Longplay Charts ein. In Frankfurt stößt man an und feiert: Den Stich ins Herz der deutschen Musikindustrie. Udo Lange, Chef von Virgin Records, Matthias Martinsohn, Chef der B.O. Management AG, das komplette Frankfurter Büro im Nordend und die Band sind völlig aus dem Häuschen.

Ebenso steigt die Single „Terpentin“ auf Platz 7 der Single Charts ein. Unangenehm für Radio- und Fernsehsender wie Viva und MTV, die in ihrer Chartshow keinen Nr. 1 Clip zeigen können, und sich mit unzulänglichen Anti-Onkelzstatements aus der Affaire zu ziehen versuchen. Unangenehm auch für große Ladenketten wie WOM, die ihre Chartregale erneut umsortieren müssen. Die Musikindustrie ist empört und verärgert, nicht nur über die 1 in den Charts, sondern auch darüber, daß die Onkelz aufgrund der hohen Verkaufszahlen für den „Echo“ in der Sparte „beste Rockband national“ nominiert werden. Ist die Nominierung noch von den Verkaufszahlen abghängig, so ist die Verleihung des Preises eine reine Symphatieangelegenheit und von daher, geben sich die Onkelz keinen Illusionen hin, dass sie den Preis jemals erhalten werden. Für den Fall einer unerwarteten Verleihung jedoch, entscheidet man sich bandintern bereits im Vorfeld für eine Ablehnung des Preises.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Frankfurter mit „Viva los Tioz“ einen riesengroßen Schritt in Richtung größere Akzeptanz machen. Das gilt nicht für die Presse. Die schreibt immer noch genauso ahnungslos und falsch, die Berichte der meisten Schreiber schimmeln schon – so voll sind diese mit Kolportagen und Anachronismen. Stephan, der sich inzwischen ein kleines Grundstück in Mittelamerika gekauft hat und dort zum surfen hinfliegt, schreibt ein surf-gitarren-inspiriertes friedliches Instrumental Stück mit dem Titel „Matapalo“. Dass dieser spanische Name für die südamerikanische Würgefeige steht und dass es in Süd- und Mittelamerika viele Strände gibt, die so heißen, weiß die Presse allerdings nicht. Also kramen mehrere Journalisten, allen voran die dpa, ihren Langenscheidt heraus und siehe da: „matar“ bedeutet töten und ein „palo“ ist eine Latte, ein Kantholz oder eben ein Baum. Schon wird das friedliche Stück über die Würgefeige, über „den Baum der tötet“ = „Matapalo“ mit „Totschläger“ übersetzt und schon werden die Musiker als „in die Jahre gekommene Plattenmillionäre mit Großgrundbesitz in Spanien“ bezeichnet. Dieser eher lustige Ausrutscher der uninformierten Presse ist jedoch nur ein kleiner Zwischenfall im bizarren Gesamtbild der Medienlandschaft.

Die größere Akzeptanz – die gilt für die Fans, die jetzt zusehend jünger und vielschichtiger werden. Zudem kommen ab 1998 immer mehr junge Frauen dazu.

Das Album ist stilistisch breit gefächert, auch wenn nicht immer zu 100 Prozent der Geschmack der Fans und auch der Band getroffen wird. Kompositionen und Texte wie „Scheiße passiert“ gehören nicht zum Besten, was die Onkelz bis dato ablieferten. Auch der Sound, erstmals mit vielen elektronischen Spielereien und Synthies versehen, stößt auf Kritik. Dennoch sind Meilensteine des „onklischen“ Songwritings auf „Viva los Tioz“ zu finden. „Der Preis des Lebens“, „Wenn Du wirklich willst“, „Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt“, „Leere Worte“ – alles todsichere Hits.

Das Intro „Matapalo – Parte Uno“ versprüht einen gewaltigen Hauch Mittelamerika. Schließt man dabei die Augen, kann man sich fast in einer dieser runtergekommenen mexikanischen Kneipen wähnen, deren Biere immer warm und deren Kellner immer schlecht gelaunt sind. Schwarz gekleidete Mariachis holen ihre dicken akustischen Gitarren aus dunklen, schweren Koffern, spielen mit weicher spanischer Stimme mittelamerikanische Volkslieder, während zwischendurch ein Moskito auf dem Kopf einer leicht bekleideten Kellnerin landet, und ein besoffener Gast in die hinterste Ecke des Lokals pisst. Die Stimme im Intro gehört dem spanischen Synchronsprecher Jack Nicholsons und einer Szene aus dem Film „Mars Attacks“, der Schluss der Platte „Matapalo – Parte Dos“ wurde von POZO – jenem kubanischen Künstler, der sechs Jahre später das Artwork der „Adios“ zeichnen sollte -, eingesprochen.

Mit „Der Platz neben mir“ schreibt die Band ein weiteres Stück für ihren verstorbenen Freund Andreas „Trimmi“ Trimborn. Das über neun Minuten lange, epische Stück wird bis heute gerne live gespielt und ist der ruhigere, versöhnlichere Gegenpart zu „Nur die Besten sterben jung“, das zu seiner Zeit noch unter den Eindrücken des damals jüngst ermordeten Trimborn entstand. „Der Platz…“ ist eine melancholische Verarbeitung des Gefühls der Einsamkeit und des Vermissens eines geliebten Freundes. Die Wut über seinen Mord weicht – was bleibt ist Leere und… „Der Platz neben mir“.

Nach „Nenn mich, wie du willst“ und „Deutschland im Herbst“ findet sich auf „Viva los Tioz“ der vielleicht wichtigste Beitrag der Onkelz zu einem Thema, das sie seit 1980 verfolgt. „Ohne mich“ ist eine in Noten und Reimen verpackte Absage an jeglichen Extremismus. Die Anti-Fa, sie lässt nichts unversucht, um die Band weiterhin im Fahrwasser des Rechtsrock zu halten. Weidner musste eine Ansage loswerden. Nazis sind ihnen sowieso seit Anbeginn ihrer Karriere verhasst – und auch die bekommen in der zweiten Strophe des Songs ihr „Fett weg“. Viele linksgerichtete Menschen, Anti-Fa Aktivisten und linke Punks nehmen Stephan die erste Strophe übel. Der wiederum erklärt bei jeder Gelegenheit, dass er die Anti-Fa nicht per se schlecht, sondern deren Methoden fragwürdig findet. Außerdem sei, so Stephan, ein antifaschistischer Kampf wichtig und die Onkelz jederzeit bereit, selbigen zu unterstützen.

Anbei hört hier ein paar Worte der Band zum Release des Albums, direkt aus dem Presse-Kit zur Veröffentlichung.

Stephan über „Türken Raus“:

 

… über die B.O. Zielgruppe und mehr:

 

die Uniformierung der Punks und Skins wird thematisiert:

 

Stephan über den Namen „Böhse Onkelz“ und für was er steht:

 

… und über den Onkelz Pathos:

 

Wie man sich als „Stachel im Arsch der Nation“ füht:

 

Stephan & Gonzo über`s Geldverdienen mit der Band:

 

und deren Ansichten über das Arbeiten unter Termindruck:

 

Stephan über das Reisen:

 

Pe und Stephan über die schwierigen Phasen der Karriere:

 

… und über die Sex Pistols

 

… was die Wörter Rebellion und Anti für die Band bedeuten:

 

Tracklisting „Viva los Tioz“:

  • Matapalo – Parte Uno
  • Viva los Tioz
  • Leere Worte
  • Weit weg
  • Das Geheimnis meiner Kraft
  • Scheiße passiert
  • Terpentin
  • Ohne mich
  • Der Platz neben mir 1+2
  • Der Preis des Lebens
  • Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt
  • Wenn Du wirklich willst
  • Matapalo – Parte Dos

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