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Kurz nach Veröffentlichung der VIVA LOS TIOZ gibt Campino der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview. Eines der längeren und heftigeren, indem er seine damalige Abneigung gegen die Onkelz unverblümt zur Schau stellt:

Campino, würden Sie einen Kollegen, der Zeilen wie „Wir sind unerträglich für fast alle, wir sind ein Schlag ins Gesicht, ein freigelegter Nerv und nicht ganz dicht“ verfaßt, für die Toten Hosen arbeiten lassen?

C: Nein. Ganz bestimmt nicht. Das wäre auch kein Text, der aus meiner Feder käme. Niemals.

Warum nicht?

C: Weil das einfach nicht meine Sprache ist. Ich finde sowas lächerlich.

Wissen Sie, von wem das Zitat stammt?

C: Ich ahne es – von einer Band, die mir ganz und gar nicht angenehm ist.

Das haben wir uns fast gedacht. Die Autoren, die Böhsen Onkelz, singen auf ihrer neuen CD aber nicht nur von freigelegten Nerven, sondern auch von Typen, die zum Lachen in den Keller gehen und Terpentin trinken. Das klingt zunächst einmal nicht so radikal anders als das Hosen-Sau flied von den Zehn kleinen Jägermeistern. Argert es Sie, daß sich die früher als rechts-extrem eingestufte Band dem Spaß-Duktus der Toten Hosen angenähert haben?

C: Mag sein, daß sie bei dem Lied Terpentin musikalisch ein bißchen in unsere Richtung gehen. Aber prinzipiell liegen zwischen den Toten Hosen und der Böhsen Onkelz Welten. Wenn Sie mit einem Tote Hosen-T-Shirt zu einem Konzert der Böhsen Onkelz gingen, stünden die Chancen nicht schlecht, daß sie deshalb zusammengeschlagen würden. Das ist Fans von uns schon passiert. Auf der letzten Live-Platte der Böhsen Onkelz gibt es eine Sequenz, da grölen 5000 Zuschauer „Scheiß Tote Hosen“. So wird von den Böhsen Onkelz ganz eindeutig versucht, eine Feindschaft zu den Toten Hosen aufzubauen – und zwar auf einem Niveau, das ich nicht akzeptieren kann. Da wird von deren Seite so getan, als sei das eine der üblichen Pop-Konkurrenzen, was nicht der Fall ist. Die Bands stehen für unterschiedliche, unvereinbare Ideologie, was sie im Zuge ihrer „Wir sind nicht mehr so wie früher“ – Taktik gerne vertuschen würden. Aber ich lasse die Qualität unserer Auseinandersetzung nicht auf diese triviale Ebene ziehen. Es geht um ganz andere, um politische Dinge – und das wissen die auch.

Wäre es Ihnen ein Experiment wert, mal eine Strophe von den Onkelz auf einem Hosen-Konzert zu singen und zu gucken, wie Ihre Fans daraufreagieren?

C: Das wäre mir absolut kein Bedürfnis. Wirklich nicht. Ich versuche mich mit denen auf der musikalischen Ebene gar nicht auseinanderzusetzen. Um über die Onkelz reden zu können, höre ich mir allerdings immer jedes ihrer neuen Lieder einmal an, lese jeden Text einmal durch. Ich möchte nicht Gefahr laufen, da irgend etwas zu sagen, von dem ich keine Ahnung habe. Und ich bleibe dabei: Diese Art Landser-Heftchen-Lyrik, die sie da immer noch verbreiten, ist unsäglich.

Das kann man auch anders sehen: Daniel-Cohn-Bendit war mal geneigt, den Böhsen Onkelz ihre öffentlich vorgeführte Abwendung von einst rassistischen Gesängen zu glauben und plädierte für eine Annährung an die Band, um über sie an die rechten Fans heranzukommen.

C: Jeder muß das für sich selbst entscheiden. Ich bin davon abgerückt, dem Rest der Welt klarzumachen: „Hört Euch an was die früher gemacht haben.“ Daß ich persönlich nicht verzeihen kann, wenn einem Menschen schon mal Hetzparolen wie „Türken raus“ über die Lippen gekommen sind, ist mein privates Problem. Deshalb verlange ich nicht von der BRD, diese Band ein Leben lang zu ächten. Meinetwegen kann Cohn-Bendit weiter wie ein Sozialarbeiter predigen, daß die armen Kids, die keine Tischtennisplatte in ihrem Jugendzentrum haben, manchmal eben etwas rabiat werden. Ich will Ihnen sagen, warum ich nicht an dieses Verständnis-Gefasel, man würde über eine Band wie die Onkelz an diese Problematischen Jugendlichen herankommen, glaube. Ich habe als Mitglied der Toten Hosen jahrelang mit rechten Hooligans Schlägereien gehabt. Es gibt von mir aus keine Gesprächsbereitschaft mit dieser Fraktion.

Angelockt durch den ersten Platz in den Charts, schnüffelt MTV hinter der Bühne herum. Aufgrund der hohen Verkäufe, ohne jede Werbung und aufgrund der ständigen Präsenz in der Presse, und der sensationellen Chartplazierungen, meldet sich im Laufe der ’98er Tour der Fernsehsender MTV erneut bei den Onkelz. Die sporadische Zusammenarbet mit dem Sender geht bis 1994 zurück, als es mehrere Treffen mit Steve Blame gegeben hat. MTV wünscht sich einen Videoclip, den sie in ihrer Chartshow zeigen können. Stephan gibt ein längeres Interview, das für die Sendung „News Bulletin“ zusammen geschnitten wird. Ein junger Steven Gätjen befragt hier Weidner über den Titel „Türken Raus“ und wie es zu der Entstehung des „Skandal-Songs“ kommen konnte. MTV beteuert, dass, wenn es ein Video gäbe, sie es sofort zeigen würden. Die Onkelz bleiben skeptisch und entschließen sich nichts zu überstürzen.