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Beobachtet von Till Erdenberger:

„Die Anti-Nazi-Koordination, der StadtschülerInnen-Rat und das kath. Stadtjugendamt hatten geladen und alle kamen, die sich auch sonst nur widerstrebend eine Gelegenheit entgehen lassen, ihre Integrität offen zur Schau zu stellen. Neben vielen anderen eine handvoll leicht ergrauter Startbahn-West-Veteranen, der übermotivierte AntiFa-Jung-Funktionär und zwei Pädagogen, die sich entweder vor ihren Schützlingen profilieren wollten, oder schlicht und einfach den falschen Job haben – wahrscheinlich beides. Und – natürlich – die Onkelzfans waren da.

Der besondere Clou, mit dem die Veranstalter aufwarteten, war der, dass zwar über, aber leider auch ohne die Onkelz diskutiert wurde. So wurde kurzerhand Klaus Farin, Autor vom „Buch der Erinnerungen“ und Leiter des Berliner „Archiv für Jugendkulturen“, der von seiner Profession her eigentlich eine neutrale Position repräsentieren würde, als Onkelz-Vertreter auf dem Podium platziert, dazu einen Moderator, der sich keine große Mühe gibt, seine Anti-Onkelz-Attitüde zu verbergen. Sehr gute Vorraussetzungen für eine faire Diskussion.

Es war also angerichtet. Same shit – different day. Auf ein Neues, Walter! Wäre es nicht so traurig, dass Don Walchotte auf seinem Kreuzzug gegen die Onkelz- Windmühlen ganz offensichtlich auf einige Sancho Pansas trifft, hätte seine surrealistisch anmutende, so gänzlich „unfunky“ Performance ein Lehrbeispiel für großes Kabarett abgegeben. Grandiose Selbstkarikatur, umwerfender Zynismus, theatralische Mimik und Gestik, dazu ein spaßiger Sarkasmus.

Aber – und hier setzt die ganze Tragik des Abends ein – Klaus Walter ist kein lustiger Handlungsreisender in Sachen Aufklärung über die bösen Nazis. Er ist kein Fachmann für Jugendkulturen, er ist kein IG-Metall-Funktionär, der sich gegen Rechts engagiert, nein, Klaus Walter ist ein journalistisches Perpetuum mobile gegen die Onkelz. In seinem Paralleluniversum der perfiden Kontext-Symbolik, nicht vorgesehener individueller Persönlichkeits-Entwicklung, Selbstgerechtigkeit und Geißelung des „Linken Establishment“, sitzt er und sucht nach immer neuen Möglichkeiten, vor den Onkelz zu warnen, nicht auf sie hereinzufallen. Zum mittlerweile wohl achtundneunzigsten Mal empört er sich über die Verschlagenheit der Onkelz – nein, vordergründig sind sie keine Nazis mehr, da muss man schon ein wenig tiefer graben. Ganz besonders angetan hat es ihm die – im entsprechenden Kontext – offensichtliche schwarz-rot-goldene Farbgestaltung des „Heilige Lieder“-Covers. Wie er angesichts eines gelb-blau-weiß-rot-schwarzen Bildes auf die faschistische Farb-Perfidität der Band schließt, ist sein Geheimnis – was zählt ist die Schlussfolgerung, die er daraus zieht und die sagt: An der eigentlichen Gesinnung der Onkelz hat sich gar nichts geändert. Sehr schön! Ließe sich aus den drei Adidas-Streifen – im entsprechenden Kontext selbstverständlich – nicht ein prima Hakenkreuz formen? Man kam sich schon vor wie ein „unverbildeter Prollhool“, der sich in den letzten Jahren übel an der Nase herumführen ließ, als man Walters Ausführungen über die unterschwellige Botschaft lauschte, die doch in fast allen Songs – mal deutlicher, mal weniger – lauert. Dezent zusammen gekürzt lautet die Quintessenz des 22 Jahre währenden Onkelz-Schaffens – wie konnte es bisher nur unbeachtet bleiben?: Die Böhsen Onkelz sind die – Achtung, anschnallen- männerbündelnde, frauenfeindliche Verkörperung des Soldatischen inkl. einer latenten Vergewaltigungsphantasie. Richtig, jetzt wo er’s sagt. Und es fällt einem doch wie Schuppen von den Augen, angesichts solch offenkundig revanchistischer Zeilen wie „Willkommen im Reich der Onkelz“, die den Besucher auf der www.onkelz.de empfängt. Das korrespondiert doch tatsächlich deutlich mit den Hitlerschen Allmachtsansprüchen. Aber der Kontext, der Kontext…

Echte Sportpalast-Stimmung kam auf, als sich zwei „Erleuchtete“ mit sich zum Ende ihrer Rede überschlagender Stimme über die Onkelz echauffierten, die Wölfe im Schafspelz, die wie alle Nazis vor ihnen schon immer unterschätzt wurden, bis es dann zu spät war. Schade, dass das Mikro nicht noch anfing, mit atmosphärischem Rauschen aufzuwarten… Gut, dass es solche zuverlässigen Warner gibt. Spaß beiseite, zurück zum Ernst der Dinge! Wie es um Walters Denkstruktur bestellt ist, wird besonders anhand seiner Affinität für die „Heilige Lieder“ deutlich, die er nicht müde wird, zu geißeln. Wie gesagt: Schwarz-rot-gold…. (Hat jemand bei einem Nazi-Aufmarsch schon mal schwarz-rot-goldene Fahnen gesehen?) Warum er die „Wir ham´noch lange nicht genug“ nicht dabei hatte, wo man das Argument durchaus hätte gelten lassen können, bleibt sein Geheimnis. Zu offensichtlich geht ja auch nicht, sonst griffe ja wieder der „Biedermann und die Brandstifter“ – Effekt. Doppelte Verschleierung, unglaublich! Vielleicht ist es auch die einzige Platte, die er tatsächlich kennt… Gänzlich obskur wird es, als er versucht, den „Hippie-Einfluss“ auf der CD zu erklären. „Hobby-Philosoph“ Carlos Castaneda, US-Anthropologe mit süd-amerikanischen Wurzeln, wird im Booklet als Inspirationsquelle genannt…. Wie das? Totale Konfusion… Könnte man das auch – im entsprechenden Kontext selbstverständlich – als cosmopolitischen, also anti-nationalistischen Einfluss sehen? Nein, so einfach darf man es den Wölfen im Schafspelz auch nicht machen. Dass Castaneda, laut Walter der Michael Ende der Hippies, also der ehemaligen „Klassenfeinde“, vereinnahmt werde, deute doch noch zusätzlich auf die eigenartige Geisteshaltung Weidners hin. Soso…

Auf alle Argumentations-Kuriositäten und inhaltlichen Fehlschläge des Protagonisten einzugehen, würde bei weitem den gebotenen Rahmen sprengen. Schade drum, dass sowohl Klaus Farin, als auch der dunkelhäutige Rapper Ebony Prince vom Anti-Rassismus-Projekt „Brothers Keepers“ mit ihren wohlgemerkt aus neutraler Warte gesprochenen pro-Onkelz-Statements auf einigermaßen taube Ohren stießen. Sei es drum, der Rest des Abends ist schnell erzählt: Eine halbe Stunde Walter, eine halbe Stunde Farin und danach fruchtlose „Diskussion“. Wie immer bei diesem Thema prallten zwei Welten aufeinander, der eine kann mit dem andern so überhaupt nicht und auf die Onkelz will sich sowieso keiner einen Schritt zubewegen. Nichts wirklich Neues…“